Für eine Birkin-Bag aus Kroko bedarf es dreier Alligatoren, heißt es. Andrea Schaeffer, Taschendesignerin aus dem schönen Hamburger Othmarschen, braucht für ihre Entwürfe aus dem exklusiven Material nichts weiter als ein gutes Näschen. Trüffelschweingleich fahndet sie auf Flohmärkten nach Krokotaschen aus den 1950er und -60ern. „Omitaschen“, sagt sie, „so was willste heute nicht mehr haben!“. Zu schwer, zu altmodisch, zu piefig. Aber das Material ist mehr denn je gefragt und im Trend. Sie zerlegt, dekonstruiert, entkleidet das wertvolle Leder von dicker Innenfutter-Pappe, Metallstangen und schweren Rahmen und schneidert aus dem besten Material – „je dünner gegerbt, desto besser die Qualität“ – Handtaschen, die so umwerfend chic und modern sind, dass nicht nur die Damen der Hamburger Gesellschaft zu „kategorischen Vielkäufern“ wurden. Viele „Deutsche im Ausland“, Düsseldorferinnen, Berlinerinnen, Münchnerinnen und „besonders treue Österreicherinnen“ tragen ihn arm candy in die Welt hinaus und werden prompt auf ihre Beute angesprochen. Der magnetischen Wirkung der Trophäen kann sich kaum eine Frau entziehen. Denn die Modelle sind unique – „Unique Bags“ heißt auch die Firma von Schäffer. Jede Tasche ist ein Einzelstück, handgefertigt und kann nach Kundenwünschen individualisiert werden. Da Krokotaschen in der Nachkriegszeit als Statussymbol galten und quasi nur Sonntags zum Kirchgang ausgeführt wurden, sind diese Antiquitäten, also die Ursprungstaschen „nahezu unbenutzt“, sagt Schäffer. Eleganz statt shabby Omi-Chic. Das süße Geheimnis aus dem hanseatischen Nobelviertel wird ungern preisgegeben, Schaeffers Adresse wird gehandelt wie die der besten Dermatologen und Schönheitsoperateure. Was sich neudeutsch upcycling nennt – die Wiederverwertung vorhandenen Materials zu einem Luxusgegenstand – ist für die ehemalige Kunsterzieherin nachhaltiges Geschäftsmodell. Und das boomt. So wie die Modelle aus frischen Materialien; „Insbesondere die Clutches sind ein Renner“. Chinesische Serpentinjadeschnitzerei, Donuts aus Halbedelsteinen, Rosenquarz, Schaumkoralle, - die Deko-Accessoires für Verschlüsse und Taschendeckel – Rochen, Kroko, Echse, Python (alle neuen Materialien aus kontrollierter Tierhaltung, wie Schäffer betont), Segeltuch, Nubuk und Lackleder: In der Werkstatt, die im Othmarschener Wohnhaus liegt, fühlt man sich wie ein Kind im Bonbonladen. Es duftet nach Leder, Kleber, Nähmaschinenöl. Für die Zutaten zu ihren Taschen hat die Designerin ihre Quellen. Die Schwierigkeit: die großen Lieferanten haben Lager so groß wie eine „Metro für Leder, Riesengassen, Gabelstapler, Monsterregale“ und verkaufen nicht an Kleinabnehmer. Mit ihrer umwerfenden Art hat Schäffer sich jedoch eine Fangemeinde herangezogen, die sie individuell bedienen. Da werden schon mal Musterkoffer geplündert oder Restposten von dem berühmten Bottega-Veneta-Flechtleder an sie verkauft (daraus entstand eine Laptop-Tasche). Ihre Lieferkette reicht vom Hamburger Traditionshaus in der Stresemannstraße bis zu Handwerkerläden in den verwinkelten Gassen der Altstadt Barcelonas. „Die verkaufen mir auch mal nur zwei gewünschte Artikel, wo andere Leute Hunderte ordern müssen.“ Der Taschenvirus hat Schaeffer vor rund zehn Jahren auf Sylt gepackt. Dort brauchte sie eine passende Handtasche in dunkelrot für ein bestimmtes Outfit. Nirgends zu finden. Die Handarbeiterin („Ich gab auch mal Nähkurse für Freundinnen“) entwarf und nähte sich prompt selbst ihn Wunschteil. Im Handtaschenfieber produzierte sie zehn verschiedene Modelle, eigentlich, um sie selbst zu benutzen. Sie wurden ihr von Freundinnen förmlich aus den Händen gerissen. Schaeffer begann, das Geschäft zu professionalisieren und so eine Art Homeshopping zu etablieren, ähnlich von Tupperware-Parties für Handtaschen. Heute hat sie eine eigene website (www.unique-bags.de), kein e-commerce-Portal, sondern eine Präsentation ihrer Werke und der unendlichen Möglichkeiten für individuelle Taschen. Persönlicher Kontakt erwünscht. Erwerben kann man die Einzelstück direkt bei Andrea Schaeffer, auf exklusiven Messen oder bei ihrem „flying warehouse“, das sie seit ein paar Jahren etabliert hat (Termine auf den website). Gemeinsam mit vier Manufakteuren, darunter die international renommierte Hutmacherin Elke Martensen, lädt sie zweimal pro Jahr zum Verkaufscocktail. Auch das im Trend: ein exklusiver Pop-up-Store in elegantem privaten Ambiente. Dort stimmt die exklusive Mischung, neben Hut Couture, Schmuck, maßgeschneiderter Nachtwäsche und Cashmere-Decken werden demnächst Vintage-Seidenkimonos, künstlerische Keramik aus Südafrika und Weihnachtsschmuck feilgeboten – in der Hamburger Rothenbaumchaussee 161 (1. Und 2. Dezember, 11-20 Uhr). Kostet eine Birkin aus Kroko gerne mal an die 40000 Euro, zahlt man für einen upcycling-Bag maximal 1500 Euro; Clutches aus anderen Materialien starten bei etwa 500 Euro. Der Clou und das, was die Bags nun wirklich auch unique macht: Man holt sich beim Tragen weder einen Bandscheibenvorfall noch einen Tennisarm. Die modernen Modelle sind federleicht, statt Kilos wiegen sie nur etwa 150 Gramm Kroko. Und: Federleicht ist auch das Gewissen! Krok-Bags von Andrea Schaeffer Krok-Bags von Andrea Schaeffer Artikel in "Stilisten"